“Zur Selbstverständlichkeit wurde, daß nichts, was die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist, weder in ihr noch in ihrem Verhältnis zum Ganzen, nicht einmal ihr Existenzrecht.” (Adorno, Ästhetische Theorie, FfM 1970, S. 9)
Kunst hat es schwer. Adorno eröffnet die Ästhetische Theorie nicht grundlos mit jenen pessimistischen Worten. Als ein Medium unter vielen bietet Kunst nur sehr zurückhaltend Chancen für Anschlusskommunikation. Für manche Kunstwerke wird allein noch durch Museen eine Plattform geschaffen. Zur Folge hat dies, dass ästhetische Theorien zur Legitimation von Kunst diese als sozial funktionslos beschreiben, um so tun zu können, als sei Kunst das letzte soziale Reservoir für moralische Integrität.
„Aber die Funktion der Kunst in der gänzlich funktionalen Welt ist ihre Funktionslosigkeit. […] Die adäquate Haltung von Kunst wäre die mit geschlossenen Augen und zusammengebissenen Zähnen.“ (Adorno, ebd., S. 475)
Ästhetikverbundene Theoretiker wollen Kunst vor Vereinnahmungsansprüchen anderer Funktionssysteme schützen. (Vgl. Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, FfM 1955, S. 171 oder ders., Konterrevolution und Revolte, in: ders., Schriften. Bd. 9, FfM 1987, S. 88 f. oder Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 1975, S. 66) Dabei wird vergessen, dass die Ausdifferenzierung eines Systems der Kunst selbst nur funktional geschehen kann. Andernfalls würde es keinen Sinn machen, von Kunst zu reden und dabei nicht etwa das Kunstgewerbe zu meinen. Die Funktion der Kunst liegt in der
“Konfrontierung der (jedermann geläufigen) Realität mit einerer anderen Version derselben Realität.” (Luhmann, Schriften zu Kunst und Literatur, FfM 2008, S. 144)
Die Kunst schafft ein Kontingenzbewusstsein gegenüber Wirklichkeitskonstruktionen. Man beobachtet oder beschreibt etwas, aber man könnte es auch anders beobachten oder beschreiben. Sofern über Kunst Wirklichkeitsalternativen erschaffen werden, provoziert dies Kommunikation. Kunstwerke sind speziell dafür angefertigt, dass über sie gesprochen wird – mithin aus purem Selbstzweck. Denn über Kunstwerke spricht man, gerade weil es eigentlich nichts über sie zu sagen gibt. Egal, ob es sich um ein Gemälde, ein Musikstück oder um Dichtung handelt, deren “Aussagen” lassen sich nicht paraphrasieren. Kunst verzögert und erschwert Verstehens- und Wahrnehmungsprozesse. Niemand wird ein gutes Gedicht ernsthaft so schnell lesen können, wie diesen Blog. Auch daher erklären sich die geringen Chancen für Anschlusskommunikation, welche Kunst bietet. Man ist ungeduldig, aber Kunst zögert Wahrnehmungs- und Verstehensprozesse “künstlich” hinaus. Gerade in der bildenden Kunst fällt auf, dass Rezipienten mitunter lange vor ein und demselben Objekt verweilen – wenngleich es sich, wie eine neue Studie ergeben hat, im Schnitt nur um elf Sekunden handelt, welche bei der Betrachtung eines durchschnittlichen Kunstwerks verstreichen, bis der Rezipient das nächst aufsucht. (Vgl. Rautenberg, Und die Herzen schlagen höher, in: Die Zeit, Nr. 17, 2012, S. 52) Und dennoch: Nirgends sonst, außer in der Kunst, wird eine derartige Langeweile in Kauf genommen. Andere Funktionssysteme sind durchweg auf Beschleunigung ausgelegt (Vgl. Rosa, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, FfM 2005). Kunst will dem nicht hinterherkommen.